Willkommen in einer Planerwelt ohne offizielle SIA-Honorarformel (Ende 2020)

Lesedauer ca. 15 Minuten. – 


Vorbemerkungen

Dies ist der dritte einer kleinen Reihe von Blogbeiträgen, die sich mit den teilweise dramatischen Entwicklungen im baulichen Honorarwesen der Schweiz seit etwa 2018 befassen. Aus lese-ökonomischen Gründen kann es sinnvoll sein, zuerst eine Zusammenfassung der Beiträge anzusehen. Diese befindet sich im Anhang zum letzten Beitrag «Alles ruhig im baulichen Honorarwesen (Mai 2023)». Man findet den genannten Anhang mit der Zusammenfassung hier >>>

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Ich schreibe diesen Blogbeitrag Ende November 2020. Das sind fast elf Monate nach dem Rückzug der traditionellen Honorarformel durch den SIA.

Früher im Jahr 2020 habe ich mit dem Blogbeitrag «Vom Kampf um die SIA-Honorarformel im Bauplanungsgewerbe (ab 2020)» bereits eine erste Einschätzung zu dieser Massnahme vorgenommen. Nun wollen wir, mit etwas mehr zeitlicher Distanz, ausführlicher Bilanz ziehen.

In der aktuellen Ausgabe 2020 der Familie der Leistungs- und Honorarordnungen (LHO) des SIA ist die traditionelle Honorarformel zur bausummenabhängigen Honorarberechnung nicht mehr enthalten. Es ist das erste Mal seit vielleicht 100 Jahren, dass der SIA auf deren Publikation verzichtet. Was hat sich seither im Planungsalltag geändert? Liegt man richtig mit der Vermutung, dass aufgrund des Verlusts in der Bauplanerwelt nun Unsicherheit und Verdruss herrscht? Oder ist im Gegenteil alles nur halb so schlimm? Fragen wie diesen wollen wir nachfolgend nachgehen.

Meine Ausführungen gliedere ich in die folgenden drei Kapitel:

1. Die Sicht der Planer – alles nur halb so schlimm
2. Von der Freude einiger Bauherren am Verschwinden der Honorarformel
3. Spekulationen zur zukünftigen Entwicklung

Das Hauptfazit schicke ich gleich voraus: Vom Rückzug der Honorarformel merkt man in der Praxis kaum etwas. Das normale Planerleben geht weiter, wie wenn nichts geschehen wäre.

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1. Die Sicht der Planer – alles nur halb so schlimm

Bevor wir uns mit der neuen Wirklichkeit des Planungsalltags ohne «legale» Honorarformel befassen, wollen wir zuerst kurz einen Blick zurückwerfen. Wieso ist es überhaupt zu dieser Situation gekommen?

Ich habe mich in der Vergangenheit oft und detailliert mit dem Thema des Honorarwesens in der Bauwirtschaft auseinandergesetzt und beschränke mich daher nachfolgend darauf, die wichtigsten Fakten zusammenzufassen. Wer sich für Einzelheiten interessiert, sei auf weiterführende Literatur verwiesen, die ich weiter unten angebe.

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1.1 Rückblick zum SIA-Honorarwesen bis 2017

Der Streit um die Honorarformel im Bauplanungsgewerbe ist die Folge eines Jahrzehnte alten Kampfes zwischen den schweizerischen Kartellbehörden und dem Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein (SIA) als Gestalter des Honorarwesens in der Bauwirtschaft. Der Konflikt eskaliert in der Zeit um 1995, als das Kartellrecht revidiert wird. Gemäss Einschätzung der Wettbewerbskommission des Bundes (WEKO) hat die Honorarberechnung des SIA anhand der damaligen Honorarformel den Charakter einer Preisabsprache, was in einer Marktwirtschaft illegal ist. Erwünscht ist vielmehr Preisdifferenzierung.

Eine erste massive Intervention der WEKO gegenüber dem SIA geschieht in der Zeit um 2000. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Preise von Bauplanungsleistungen weitgehend reguliert vom SIA. Anhand der damals vorherrschenden Honorierungsart, dem «Kostentarif», lässt sich das Planungshonorar anhand einer Formel direkt aus der Bausumme ermitteln. Weder die individuelle Leistungsfähigkeit (Produktivität) des Planerteams noch dessen Kostenstruktur spielen bei der Honorarbemessung eine Rolle. Anders ausgedrückt: Unterschiedliche Planungsbüros kommen für die gleiche Planungsaufgabe auch weitgehend zum gleichen Honorar – was Preisabsprache bedeutet.

Bei der Auseinandersetzung mit der WEKO gelingt es dem SIA, einen wichtigen Kompromiss zu erreichen: Die direkte Berechnung des Honorars aus der Bausumme wird zwar verboten, aber immerhin darf daraus anhand einer modifizierten Formel noch der mutmassliche Zeitaufwand für die Planungsaufgabe ermittelt werden. Dabei soll auch die spezifische Leistungsfähigkeit (Produktivität) des Planungsbüros berücksichtigt werden, und zwar mit dem sogenannten Teamfaktor i. – Was jetzt noch fehlt für die Honorarkalkulation sind die Stundenansätze der Projektmitarbeitenden. Diese müssen von jedem Planungsbüro individuell festgelegt werden, branchenweite Absprachen sind verboten.  

Die modifizierte Honorarberechnungsart aus dem Jahr 2003 wird auch als Zeitaufwandmodell bezeichnet. Sie verschafft dem SIA nun etwa fünfzehn Jahre Ruhe vor den Kartellbehörden.


Literaturhinweis
Die historische Entwicklung des SIA-Honorarwesens wird in folgendem Buch von mir ausführlich beschrieben:
Bauplanerhonorare – Ratgeber für Bauherren (2017).
Siehe Kapitel 3: Kurze Geschichte des Honorarwesens in der Bauplanung (Seiten 23 bis 32).
Nähere Angaben zum Buch hier >>>

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1.2 Übergangslösung zum Honorarwesen 2018/19

Nach einer langen Zeit von Ruhe und Frieden gerät der SIA Im Jahre 2017 wieder ins Visier der WEKO. Sie gelangt zur Auffassung, dass auch das Zeitaufwandmodell von 2003 als wettbewerbshemmend betrachtet werden könnte.

Weil die Sanktionsmöglichkeiten der WEKO für den SIA existenzbedrohend sind, zieht er die bisherige Honorarformel des Zeitaufwandmodells zurück. Sie wird im November 2018 ersetzt durch die sogenannte Übergangslösung, ein Provisorium. Sie soll die Zeit überbrücken, bis eine neu konzipierte Honorarberechnungsart zur Verfügung steht, die nicht mehr in den Verdacht der Preisabsprache geraten kann.

Die in aller Eile ausgearbeitete Übergangslösung stellt sich schnell als Debakel heraus. Mit teilweise verzweifelten Massnahmen versucht der SIA, die Honorarberechnung «ungenauer» zu machen, um sich dem Vorwurf der Preisabsprache zu entziehen. Viele Formelbestandteile sollen vom Formelanwender frei bestimmt werden, ohne Vorgaben oder Richtlinien durch den SIA als Formelherausgeber. Uralte Wertereihen für die Honorarfaktoren (z.B. für den Schwierigkeitsgrad) werden als nicht mehr anwendbar erklärt.

Der Vogel abgeschossen wird durch eine neue Doktrin des SIA, wie der prognostizierte Zeitaufwand als primäres Resultat der Honorarformel aufzufassen sei. Er dürfe nicht mehr als fester Wert betrachtet werden, sondern könne neuerdings streuen, nach oben wie nach unten. Zur Berechnung der Streuung stehe ein Kalkulationstool zur Verfügung, das sich auf der Homepage des SIA befinde.

Die Übergangslösung ist in der Anwendung so kompliziert, dass die Bauplaner entnervt die Hände verwerfen und sie rundum ablehnen. Der SIA entgeht nur knapp der Blamage, sie schon nach wenigen Monaten vorzeitig zurückziehen zu müssen. Wir ursprünglich vorgesehen löst er sie erst per Anfang 2020 ab, mit der bereits erwähnten Leistungs- und Honorarordnung (LHO) ganz ohne bausummenabhängige Honorarberechnung. Es ist das erste Mal in der langen Geschichte des SIA, dass es keine offizielle Honorarformel mehr gibt.


Literaturhinweis
Eine ausführliche Beschreibung der Übergangslösung ist in folgendem Blogbeitrag von mir zu finden:
«Aktuelle Entwicklungen im SIA-Honorarwesen (bis 2019)»

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1.3 SIA-Honorarwesen 2020 – ein Schritt zurück in die Vergangenheit?

Fängt jetzt der grosse Wildwuchs an im Honorarwesen der Bauwirtschaft? Kalkuliert nun jeder Planer nach seinen eigenen Regeln, unabhängig von der Bausumme? So wie es die WEKO wahrscheinlich gerne hätte?

Definitiv nicht. Die WEKO hat der Planerwelt nämlich eine Hintertür offengelassen zur altvertrauten Kalkulationsmethode, in einem Akt von bemerkenswerter Grosszügigkeit. Die Planer dürfen nämlich weiterhin die Honorarformel des Zeitaufwandmodells nutzen, und zwar in der Gestalt der eigentlich ausser Kraft gesetzten Ausgabe 2014 der Leistungs- und Honorarordnung (LHO). Genau genommen ist diese Weiteranwendung allerdings nur dann statthaft, wenn der Vorschlag zur Benutzung von der Bauherrschaft kommt, nicht aber vom Planer. In der Praxis ist aber in der Regel der Planer federführend bei Vertrags- und Honorarfragen. So kommt es, dass die eher als Ausnahmefall gedachte Anwendung des Zeitaufwandmodells und somit der LHO 2014 auch ab dem Jahr 2020 wieder zum Normalfall wird. Praktisch jeder Planer kalkuliert sein Honorar somit weiterhin bausummenabhängig.


Literaturhinweise
Genauere Angaben zur Weiterbenutzung der Ausgabe 2014 der Leistungs- und Honorarordnung (LHO) befinden sich in folgenden weiteren Blogbeiträgen von mir:

«Aktuelle Entwicklungen im SIA-Honorarwesen (bis 2019)»;
siehe dazu den Anhang, den ich am 30. Juli 2019 beigefügt habe; die Bedingungen für die Weiterbenutzung der Ausgabe 2014 der LHO sind unter dem Buchstaben (d) beschrieben

«Vom Kampf um die SIA-Honorarformel im Bauplanungsgewerbe (ab 2020)»; 
siehe dazu den Punkt 2.1 «Aussagen zur Weiterverwendung der Ausgabe 2014 der LHO»

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1.4 Die neue Normalität im Honorarwesen

Die neue Normalität im Honorarwesen nach der grossen Verwirrnis in den Jahren 2018/2019 mit der Übergangslösung sieht so aus, dass die meisten Akteure der Bauwirtschaft wieder mit der Ausgabe 2014 der Leistungs- und Honorarordnung (LHO) arbeiten. Man tut also so, wie wenn es die Ausserkraftsetzung nie gegeben hätte. Es herrscht somit gepflegte Routine wie immer: Business as usual. Ein unbefangener Beobachter der Bauplanerwelt mag sich fragen, ob es überhaupt jemals so etwas wie Hektik und Improvisation gegeben habe.

Aus der Sicht der WEKO allerdings kann man über die Bilanz nicht unbedingt so erfreut sein. Böse Zungen werden möglicherweise sagen, dass die Intervention 2018/19 gegenüber dem SIA ein Schuss in den Ofen gewesen sei.

Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass natürlich eine gehörige Portion Spekulation dabei ist, wenn ich Aussagen mache, die angeblich für die ganze Bauplanerbranche gelten sollen. Ich selber sehe natürlich nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Markt. Aber ich erlaube mir trotzdem ein pauschales Urteil, weil alle Indizien auf den gleichen Sachverhalt hindeuten: Man hat wieder eine brauchbare Honorarformel, und zwar diejenige gemäss Ausgabe 2014 der Leistungs- und Honorarordnung (LHO). Es sind keine Aufschreie aus der Planerbranche zu vernehmen, wie es in den Jahren 2018/19 bei der Übergangslösung der Fall gewesen ist.

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1.5 Ist ein NICHT-bausummenabhängiges Honorarwesen in der Bauwirtschaft überhaupt möglich?

Das Kapitel 1 zur Sicht der Bauplaner und ihres Verbandes SIA schliesse ich ab mit der Frage, ob in der Bauwirtschaft ein Honorarwesen ausserhalb der traditionellen bausummenabhängigen Kalkulation überhaupt möglich sei.

Dieser Frage bin ich im Blogbeitrag «Braucht es im Bauplanungsgewerbe überhaupt eine Honorarformel?» nachgegangen. Dort führe ich zwei Gründe auf, wieso aus meiner Sicht ein Honorierungskonzept ohne Honorarformel denkbar ist.

— Grund 1:
In grossen Teilen des Wirtschaftsbereichs mit hochwertigen Dienstleistungen gibt es keine Honorarformel und keine Preislisten. Das Honorar wird ausschliesslich aufgrund des abgeschätzten Zeitbedarfs kalkuliert.

— Grund 2:
Im Honorarwesen des SIA hat es schon einmal eine Phase gegeben, während der die Honorarformel nicht gestimmt hat und somit unzuverlässig gewesen ist. Echte Vorkalkulation ist damals nötig gewesen, und man hat diese Herausforderung geschafft.

Ein NICHT-bausummenabhängiges Honorarwesen wäre daher gemäss meiner Einschätzung in der Bauwirtschaft grundsätzlich möglich.

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2. Von der Freude einiger Bauherren am Verschwinden der Honorarformel

In diesem zweiten Kapitel wechseln wir die Optik. Nachdem wir im ersten Kapitel die Situation aus der Sicht der Planer betrachtet haben, tun wir dies nun aus derjenigen der Bauherren.

Machen wir uns nichts vor: Die meisten Bauherren dürften gar nicht mitbekommen, dass die aktuell gültige Leistungs- und Honorarordnung (LHO) des SIA (nämlich die Ausgabe 2020) ohne Honorarformel zur bausummenabhängigen Honorarberechnung auskommt. Die Wenigen, die davon hören, werden typischerweise von aussenstehenden Dritten darauf aufmerksam gemacht, beispielsweise von einem Bauherrenberater wie mir.

Ich habe im Jahr 2020 nun die erstaunliche Feststellung gemacht, dass einige dieser Eingeweihten durchaus froh sind, dass die Honorarformel nicht mehr das Mass aller Dinge ist. Sie hätten nämlich ganz gerne eine Honorarvereinbarung ohne Honorarformel, und zwar ein Pauschalhonorar.

Von diesem nicht erwarteten Resultat möchte ich nachfolgend berichten. Es ist das erste Mal, dass ich in meinem Blog darüber schreibe. Im früheren Blogbeitrag «Vom Kampf um die SIA-Honorarformel im Bauplanungsgewerbe (ab 2020)» habe ich davon noch keine Kenntnis gehabt.

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2.1 Problematik der bausummenabhängigen Honorierung aus Bauherrensicht

Das bausummenabhängige Honorar entspricht einem uralten Grundprinzip des SIA. Für die Bauherrschaft führt dies gelegentlich zu Irritationen, manchmal auch zu Ärger. Ursache dafür sind meistens unerwartete Honorarerhöhungen, die nur auf den Anstieg der Bausumme zurückzuführen sind, nicht aber auf die Ausweitung der Leistungen. Die Honorarformel kann also verantwortlich sein für erhöhte Honorare, und nicht zusätzlich bestellte Planungstätigkeiten.

Betrachten wir dazu einige Beispiele.

— Beispiel 1
Das Architektenhonorar wird vor dem Beginn der Planungsarbeiten vereinbart. Die Vereinbarung besteht darin, dass nur die Honorarfaktoren festgelegt werden (Schwierigkeitsgrad n, Leistungsanteil q etc.), nicht jedoch die absolute Höhe des Honorars. Für die aufwandbestimmenden Baukosten B wird die Annahme aus der Machbarkeitsstudie eingesetzt. Falls sich nun später im Projektablauf die Baukosten als höher herausstellen, wird auch das Honorar angepasst.

— Beispiel 2
Der Honorarvertrag wird abgeschlossen, nachdem das Vorprojekt vorliegt. Die Baukosten liegen zu diesem Zeitpunkt als Kostenschätzung mit einer Genauigkeit von 15% vor. Für das Architektenhonorar wird ein Pauschalbetrag vereinbart, allerding mit einer Einschränkung. Diese besteht darin, dass für das Honorar der Bauausführung der Kostenvoranschlag massgebend sein soll. Da dieser oft höher ist als die vorangehende Kostenschätzung aus dem Vorprojekt, erhöht sich auch das Honorar für die Bauausführung. Der vereinbarte Pauschalbetrag gilt somit nur für die Projektierungsphase, nicht aber für Ausführungsphase. Bei letzterer ist das Honorar daher nur «relativ» pauschal, nicht absolut pauschal.

— Beispiel 3
In vielen Planerverträgen ist vereinbart, dass die Summe der Bauabrechnung massgebend ist für die Bemessung des Architektenhonorars. Dessen definitive Höhe stellt sich somit erst ganz am Schluss des Projekts heraus.
Falls beim Projekt die Baukosten laufend etwas ansteigen, dann steigt auch das Architektenhonorars entsprechend an, bis zur Bauabrechnung.
Dieser Anpassungsmechanismus kann aber von der Bauherrschaft ausgeschlossen werden. Gemäss SIA-Mustervertrag für Planungsleistungen kann sie festlegen, dass der Kostenvoranschlag die Basis der Honorarberechnung ist, und nicht die Bauabrechnung.

In allen drei Beispielen stellen wir fest, dass das Planungshonorar nur darum ansteigt, weil die Bausumme grösser wird. Die Leistungen jedoch blieben genau gleich. Aus der Sicht vieler Bauherren ist dies stossend.

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2.2 Bausummenabhängige Honorierung als ungesundes Prinzip

Aus Sicht der informierten Bauherrschaft ist das Grundprinzip der bausummenabhängigen Honorierung fragwürdig, indem es falsche Anreize setzt.  Die Bauplaner bekommen mehr Honorar, wenn die Baukosten im Verlauf des Projekts ansteigen. Dadurch wird das Sparen nicht unterstützt: Wer spart, reduziert sein Honorar. Das Gegenteil sollte der Fall sein: Wer Baukosten einspart, bekommt dafür einen Bonus.

Falls man das Honorar unabhängig von einer Honorarformel vereinbart, braucht man über die oben genannten möglichen Honorarerhöhungen nicht zu streiten. Das Honorar ist nur abhängig von der Leistung, nicht aber von der Bausumme. Wenn die Planungsleistungen nicht ändern, ändert sich auch das Honorar nicht, selbst wenn die Bausumme ansteigt.

Darum haben etliche Bauherren eine ziemlich klare Meinung beim Streit zwischen dem SIA und der WEKO über die Art der Honorierung: Sie befürworten die NICHT-bausummenabhängige Honorierung, und stehen somit tendenziell auf der Seite der WEKO.

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2.3 Beispiel einer NICHT-bausummenabhängigen Honorarvereinbarung

Ich erläutere das Vorgehen eines Honorarvertrags ohne Honorarformel anhand des Beispiels eines privaten Bauherrn, der ein Wohnprojekt mit vier Wohneinheiten realisieren will. Er befindet sich mit seinem Bauvorhaben noch ganz am Anfang. Er verfügt über ein solides Pflichtenheft und eine Machbarkeitsstudie, einschliesslich einer ganz groben Abschätzung des Investitionsrahmens. Mit diesen Grundlagen will er nun einen Architekten suchen. Zu diesem Zweck führt er unter drei als fähig befundenen Kandidaten eine Konkurrenzanfrage für das Architektenhonorar durch. Es gibt also keinen Architektenwettbewerb, nur eine Honorarsubmission.

Der Bauherr begrüsst es sehr, dass gemäss aktueller Leistungs- und Honorarordnung (LHO) des SIA das Planerhonorar nicht mehr primär bausummenabhängig festgelegt werden soll, denn die entsprechende Formel zur Honorarermittlung ist in der Ausgabe 2020 gar nicht mehr enthalten. Obwohl er nicht genau weiss, sondern nur ungefähr, was das Bauvorhaben kosten wird, möchte er trotzdem das Honorar bereits am Anfang verbindlich vereinbaren. Mit einem Pauschalbetrag, der nicht bausummenabhängig ist, kann er das tun.

Die aktuelle LHO unterstützt ihn bei dieser Absicht. Das Fehlen der Honorarformel zur bausummenabhängigen Honorarkalkulation bringt nämlich zum Ausdruck, dass das Honorar aufgrund der geforderten Leistung vereinbart werden soll, und nicht aufgrund der Bausumme. Ein gutes Pflichtenheft und eine Machbarkeitsstudie reichen zur Beschreibung der Aufgabe aus, die genaue Bausumme braucht es dazu nicht. Aufgrund dieser Grundlagen wissen die anbietenden Architekten genügend genau, worin die geforderte Planungsaufgabe besteht und welchen Planungaufwand sie betreiben müssen.

Die drei angefragten Architekten wehren sich somit nicht gegen das Vorgehen und schätzen die nötigen Planungsstunden als Basis für das Angebot rein aufgrund der Bauaufgabe ab. Möglicherweise ziehen sie dafür Vergleichsobjekte hinzu. Das Architektenhonorar wird als Pauschalbetrag angeboten, und nicht als variable Grösse, die auf der Bausumme basiert.

Das Einholen von pauschalen (nicht bausummenabhängigen) Honoraren hat für den Bauherrn mindestens zwei Vorteile.

— Vorteil 1:
Die drei Angebote für Architektenleistungen lassen sich direkt vergleichen. Sie basieren auf dem gleichen Pflichtenheft und sind unabhängig von Baukostenannahmen, die bei den anbietenden Architekten wahrscheinlich unterschiedlich ausfallen dürften.

— Vorteil 2:
Der Bauherr muss nicht damit rechnen, dass das vereinbarte Honorar später noch ansteigt, wenn die Bausumme grösser wird im Vergleich zur ersten Annahme zum Zeitpunkt des Abschlusses des Architektenvertrags. Das Honorar erhöht sich nur dann, wenn auch die Leistungen ausgeweitet werden, indem zum Beispiel ein zusätzliches Bauteil zu planen ist (grösserer Keller; zusätzliche Solaranlage etc.).

Es kann für den Bauherrn also vorteilhaft sein, wenn er sich dem Ansinnen der WEKO anschliesst und Planerhonorare pauschal (nicht bausummenabhängig) vereinbart.

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3. Spekulationen zur zukünftigen Entwicklung des Honorarwesens

Im früheren Blogbeitrag «Vom Kampf um die SIA-Honorarformel im Bauplanungsgewerbe (ab 2020)» habe ich mir Gedanken gemacht zur zukünftigen Entwicklung des Honorarwesens in der Bauwirtschaft (siehe vor allem Abschnitt 4.3, ganz am Schluss).

Ich halte dort fest, dass der SIA eigentlich ganz zufrieden ist mit der aktuellen Situation. Die WEKO scheint die Weiterverwendung der Ausgabe 2014 der Leistungs- und Honorarordnung (LHO) zu tolerieren, welche die Honorarformel der bausummenabhängigen Honorarkalkulation enthält. Der SIA hat darum keine Eile mit der Entwicklung eines neuartigen Honorierungskonzepts, welches wegkommt von der Bausumme.

Diese Aussagen mache ich im Juni 2020. Nun ist ein knappes halbes Jahr ins Land gegangen und wir schreiben November 2020. Hat sich zwischenzeitlich etwas Grundlegendes geändert? Ich erkenne keine Veränderung. Es ist auch keine Eile erkennbar hinsichtlich der Entwicklung eines neuen Honorierungskonzepts.

Meine Prognose bleibt damit unverändert, dass der SIA auch längerfristig nicht von der bausummenabhängigen Honorarkalkulation wegkommen wird, weil seine Mitglieder dies nicht wollen. Es würde mich daher nicht erstaunen, wenn auch im Jahr 2030 noch die Mehrheit der Architekten mit der Ausgabe 2014 der Leistungs- und Honorarordnung (LHO) arbeiten sollte.

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Textgeschichte
26. Mai 2023: Vorbemerkungen eingefügt

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Dieser Blog enthält Dutzende von Fachbeiträgen, die sich primär an Bauherrschaften richten. Sie sind gegliedert nach Sachgebieten. Die beiden wichtigsten Themenbereiche sind «Honorarfragen» und «Bauen mit einem Architekten». Benutzen Sie das Menu, um zu der Fragenkategorie zu gelangen, die Sie besonders interessiert. – Hans Röthlisberger, Bauherrenberater, Gwatt (Thun) / Schweiz


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