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Es kommt immer wieder vor, dass ich Expertisen zu Planerhonoraren erstelle, die nötig sind, weil die Bauherrschaft mit dem Architekten im Streit liegt.
Der typische Anlass für einen Streit und somit eine externe Expertise ist ein Stopp der Planungsarbeiten. Der Architekt ist darüber verärgert und stellt im Frust eine zu hohe Rechnung, indem er die erbrachten Leistungen als zu grosszügig darstellt. Meine Aufgabe besteht nun primär darin, herauszufinden, welche Leistungen effektiv erbracht worden sind. Solche Recherchen können aufwendig sein, da eine grosse Zahl von Dokumenten gesichtet werden muss.
Nachfolgend beschreibe ich vier typische Beispiele von Honorarexpertisen in Streitfällen. Die beschriebenen Geschichten sind, wie alle Beiträge in diesem Blog, ausreichend anonymisiert.
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Beispiel 1: Erweiterung Dienstleistungsgebäude
Die Bauherrschaft will ein Dienstleistungsgebäude erweitern. Es ist ein Anbau geplant, zudem soll das bestehende Gebäude saniert werden. Mit den Planungsarbeiten wird ein kleines lokales Architekturbüro betraut.
Nach einigen Wochen Planungsarbeit legt das Architekturbüro einen Entwurf für den Architektenvertrag vor. Dieser Vorschlag irritiert die Bauherrschaft. Die Vertragssumme (mehrere hunderttausend Franken) erscheint sehr hoch. Zudem macht ihr der Vertrag irgendwie einen unprofessionellen Eindruck.
Die Bauherrschaft unternimmt etwas vom Sinnvolleren, das man bei dieser Ausgangslage tun kann: sie holt eine externe Expertise zum Vertragsentwurf ein. Solche Stellungnahmen sind eine Standarddienstleistung von mir, die ich immer wieder erbringe. Im konkreten Fall komme ich zu einer sehr negativen Einschätzung.
Der Vertragsentwurf ist in formaler Hinsicht sehr fragwürdig. Er basiert nicht auf dem SIA-Mustervertrag, sondern stellt ein selbst gebasteltes Konstrukt dar. Er enthält Vertragsbausteine, die SIA-Vertragsklauseln entnommen zu sein scheinen, aber abgewandelt sind. Teilweise stösst man auch auf völlig frei konzipierte Artikel. Das Ganze ist ziemlich wirr aufgebaut und die einzelnen Teile passen nicht zusammen.
Die fehlende Sorgfalt beim Planungsvertrag motiviert mich dazu, die Qualität der vorliegenden bisherigen Planung generell unter die Lupe zu nehmen. Und der schlechte Eindruck setzt sich nahtlos fort. Ich stosse auf eine grosse Schludrigkeit. Es fehlt ein richtiger Plan für das Vorgehen. Man fängt einfach irgendwo an und hangelt sich dann durch die Planung. Die mangelnde Sorgfalt zeigt sich an zahlreichen Einzelheiten. Beispielsweise sind viele Pläne nicht angeschrieben. Sie weisen auch kein Datum auf und keinen Revisionsstand.
Die Bauherrschaft hat bei der bisherigen Arbeitsweise des Architekten bereits ein schlechtes Gefühl gehabt, hat den Grund für das Unbehagen aber nicht richtig benennen können. Nun wird es ihr bewusst, dass es mit diesem Architekten nicht weitergehen kann. Dafür ist das Bauvorhaben zu wichtig für sie. Dem Architekten wird mitgeteilt, dass man den Auftrag beenden will.
Der Architekt ist natürlich masslos enttäuscht über den Abbruch, denn der Auftrag ist für ihn in wirtschaftlicher Hinsicht sehr bedeutend. Vorerst verzichtet er aber darauf, eine formelle Rechnung zu stellen, sondern listet nur die aus seiner Sicht erbrachten Leistungen auf. Dabei orientiert er sich an der Leistungstabelle gemäss SIA-Honorarordnung 102 (Art. 7.1 Abs. 3 SIA Honorarordnung 102; Ausgabe 2014).
Das Planungsprojekt befindet sich zwar noch ziemlich am Anfang, also in der Vorprojektphase. Trotzdem macht er geltend, dass er bereits Leistungen aus der Phase Bauprojekt erbracht habe und sogar schon eine erste Fassung des Kostenvoranschlags.
Meine Aufgabe besteht nun darin, Argumente zuhanden der Bauherrschaft zusammen zu stellen, damit die erbrachten Leistungen fair abgerechnet werden können. Man muss dem Architekten dabei zu Gute halten, dass er nicht stur ist. Er lehnt externe sachkundige Argumente nicht rundwegs ab. Es gelingt darum der nicht sachkundigen Bauherrschaft, im Gespräch mit dem Architekten anhand meiner Einschätzungen eine Lösung zu finden. Das zu bezahlende Honorar beträgt dabei etwa einen Viertel dessen, was sich aufgrund der ersten Liste des Architekten über die erbrachten Leistungen ergeben hätte.
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Beispiel 2: Neubau Einfamilienhaus
Das zweite Beispiel ist hinsichtlich der Bausumme sehr viel kleiner als das erste Projekt, aber die Streitsumme zum Honorar befindet sich in einer vergleichbaren Grössenordnung. Anlass für den Streit ist ein Vorgang, der in der Praxis immer wieder vorkommt und in den meisten Fällen nicht zu einem Zerwürfnis führt: der Verzicht auf eine Weiterbeauftragung nach dem Baugesuch.
Im konkreten Fall ist die Projektierungsphase abgeschlossen und das Baugesuch eingereicht. Die Bauherrschaft verzichtet aber darauf, den Architekten aus der Projektierungsphase mit der Realisierung zu beauftragen und wählt eine andere Lösung für die Bauausführung. Streng genommen gibt es also keinen Planungsabbruch, sondern die Bauherrschaft beauftragt einfach keine weiteren Planungsleistungen. Der Architekt nimmt die Beendigung des Auftragsverhältnisses aber persönlich und rächt sich dafür, indem er für die Projektierungsphase eine viel zu hohe Rechnung stellt.
Zu einem kleineren Teil ist die hohe Honorarforderung darauf zurückzuführen, dass noch kein Planungsvertrag abgeschlossen worden ist. Es hat zwar einen Vertragsentwurf gegeben, dieser ist aber von der Bauherrschaft nicht unterzeichnet worden. Sie hat daran gezweifelt, ob das Honorar marktgerecht sei. Im Rahmen der Rechnung werden nun vom Architekten die hohen, vom Bauherrn nicht akzeptierten Honorarfaktoren in die Honorarermittlung eingesetzt.
Der viel wichtigere Grund für das überrissene Honorar jedoch ist ein Streit um eine Umplanung im Rahmen der Projektausarbeitung. Der Architekt hat es unterlassen, im Rahmen des Vorprojekts unterschiedliche Lösungsansätze zu untersuchen und hat sich voreilig auf ein bestimmtes Entwurfskonzept fixiert, das sich später als unbefriedigend herausgestellt hat. Er hat das Projekt darum nachträglich anpassen müssen.
Verärgert über den fehlenden Anschlussauftrag für die Bauausführung behauptet er nun, dass er zwei völlig unterschiedliche Projekte ausgearbeitet habe und darum auch zweimal Anspruch auf das Honorar für die Projektphase habe. Dies stellt eine kühne Interpretation der Honorierung von Architektenleistungen dar.
In meiner Expertise zur Architektenrechnung lege ich dar, dass es gar nicht zwei unterschiedliche Projekte gegeben habe, sondern lediglich eine recht geringfügige Umplanung des ersten Projekts. Zu diesem Zweck prüfe ich sehr viele Dokumente: Pläne, Baubeschriebe und Kostenermittlungen. Überall zeigt sich das gleiche Muster: die angeblich zwei unterschiedlichen Projekte bestehen aus den gleichen Bausteinen, seien es Pläne, Texte (Baubeschrieb) oder Zahlen (Kostenvoranschlag). Es kann somit in keiner Weise von zwei komplett unterschiedlichen Projekten gesprochen werden.
Nun kommt aber noch ein wichtiger Aspekt hinzu. Der Architekt hat es sich selbst zuzuschreiben, dass er das Projekt hat umplanen müssen. Bei der Prüfung von Lösungskonzepten hat er es nämlich an Sorgfalt mangeln lassen. Die umgeplante Lösung hat so viele Vorteile, dass sich die Bauherrschaft mit grösster Wahrscheinlichkeit schon in der der Vorprojektphase für sie entschieden hätte, wenn sie diskutiert worden wäre, und sei es nur als Skizze. Die spätere Umplanung kann man somit als (kostenlose) Garantiearbeit des Architekten auffassen. Weil der erste Vorschlag aufgrund mangelnder Sorgfalt Mängel hat, muss er das Projekt verbessern, so wie jeder Werkunternehmer sein mangelhaftes Projekt kostenlos verbessern muss.
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Beispiel 3: Sanierung Mehrfamilienhaus
Das dritte Beispiel ist noch einmal etwas anders gelagert. Es geht um die Sanierung eines Mehrfamilienhauses. Zwischen Bauherrschaft und Architekt ist ein Planungsvertrag abgeschlossen worden. Er basiert zwar auf dem Mustervertrag des SIA, zeichnet sich aber durch zwei Besonderheiten aus. Erstens werden die zu erbringenden Leistungen nicht anhand des Leistungsbeschriebs gemäss SIA 102 festgelegt, sondern anhand einer Beilage. Mit ganz wenigen Stichworten wird angegeben, welche Leistungen der Architekt erbringen will. Die Leistungstabelle mit den Prozentanteilen für die Teilphasen und Leistungsbereiche wird dazu nicht verwendet (Art 7.7. Abs. 3 SIA-Honorarordnung 102). Die zweite Besonderheit ist die vereinbarte Honorierungsart. Die Leistungen sollen nämlich nach dem effektiven Zeitaufwand abgerechnet werden (Art. 6 SIA-Honorarordnung 102), mit einem Kostendach als oberer Grenze. Die übliche Honorarformel des SIA (Honorarberechnung nach den aufwandbestimmenden Baukosten; Art 7 SIA 102) spielt somit keine Rolle.
Die Planungsarbeiten entwickeln sich nicht positiv. Nach der Baubewilligung gibt es Streit zwischen Bauherrschaft und Architekt, der zur Beendigung des Planungsmandats führt. Es hat schon früher ein latentes Unbehagen der Bauherrschaft gegenüber dem Architekten gegeben. Sie ist mit der Qualität der Arbeit nie richtig zufrieden gewesen. Auslöser des Zerwürfnisses sind zum einen erste vorbereitende Bauarbeiten, die aus Sicht der Bauherrschaft völlig unbefriedigend ablaufen. Das Fass zum Überlaufen bringt dann der Kostenvoranschlag, der erst Monate nach der Baueingabe vorgelegt wird und die bisherigen Kostenschätzungen weit übertrifft. Die Bauherrschaft weiss sich in dieser Situation nicht anders zu helfen, als die Notbremse zu ziehen und Auftrag an den Architekten aufzukündigen.
Der Architekt ist verärgert und stellt sofort Rechnung, und zwar aufgrund der aufgelaufenen Stunden. Die Rechnung erscheint der Bauherrschaft deutlich zu hoch. Meine Aufgabe besteht nun darin, abzuklären, welches der faire Preis für die bisher geleisteten Planungsarbeiten ist.
Meine Grundüberlegung bei der Prüfung der Rechnung geht dahin, dass das Kostendach auch dann eine Rolle spielt, wenn das Projekt noch nicht abgeschlossen ist. Wenn beispielsweise die Leistungen erst zu einem Viertel erbracht sind, kann nicht der Betrag für das halbe Kostendach verrechnet werden, sondern auch erst für ein Viertel. Sonst hätte die ganze Kostendachvereinbarung gar keinen richtigen Sinn.
Um den Umfang der erbrachten Leistungen abzuschätzen, brauche ich ein zusätzliches Messinstrument, denn anhand der wenigen Stichworte im Architektenvertrag kann nicht beurteilt werden, welcher Anteil der vereinbarten Planungsarbeiten bereits geleistet worden ist. Um den Umfang abzuschätzen, verwende ich das übliche Messinstrument des Bauplanungsgewerbes, nämlich den Leistungsbeschrieb gemäss SIA-Honorarordnung 102 (Art. 4 SIA 102), einschliesslich der dazu gehörenden Leistungstabelle (Art. 7.7. Abs. 3 SIA 102). Diese Planungsinstrumente sind zwar für die Umschreibung der Planungsleistungen nicht verwendet worden, man hat sie aber auch nicht bewusst ausgeschlossen. Sie sind für die Vereinbarung der Leistungen im Planervertrag einfach nicht nötig gewesen, weil man sich mit einem individuell konzipierten Leistungsbeschrieb beholfen hat.
Konkret komme ich zum Ergebnis, dass bis zum Planungsstopp etwa ein Viertel der gesamthaft vereinbarten Planungsleistungen erbracht worden ist und dass daher auch nur ein Viertel des Kostendachbetrags geschuldet ist.
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Beispiel 4: Neubau Einfamilienhaus
Auch im Beispiel 4 geht es um die Planung eines Einfamilienhauses. Im Unterschied zum Beispiel 2 wird die Projektierung aber bereits vor der Einreichung des Baugesuchs gestoppt. Die Planungsarbeiten werden beendet, als sich abzeichnet, dass das Bauvorhaben mit den vorhandenen finanziellen Mitteln nicht finanzierbar ist. Die zuverlässig ermittelten Kosten gemäss Kostenvoranschlag werden mehr als einmal angepasst, indem das Projekt abgespeckt wird. Aber der angestrebte finanzielle Rahmen lässt sich einfach nicht erreichen.
Die Bauherrschaft wendet sich an einen auf Wohnungsbau spezialisierten Generalunternehmer, der ihr in Aussicht stellt, das Kostenziel erreichen zu können. Mit ziemlich radikalen Vereinfachungen am Projekt gelingt dies auch tatsächlich. Das vom Generalunternehmer abgeänderte Projekt hat aber mit dem ursprünglich sehr schönen Entwurf des Architekten nicht mehr viel gemein. Es ist ein anderes Projekt entstanden.
Es entwickelt sich nun ein Streit zwischen dem Architekten und der Bauherrschaft über die Entschädigung der Planungsarbeiten. Der Architekt möchte das ganze Bauprojekt bezahlt haben, auch wenn es sich als nicht ausführbar herausgestellt hat. Die Bauherrschaft dagegen ist der Meinung, dass eine vollständige Entschädigung nicht angebracht sei. Das Projekt habe vom Generalunternehmer noch massiv überarbeitet werden müssen, bis der angestrebte finanzielle Rahmen hat erreicht werden können. Diese zusätzlichen Planungsarbeiten habe die Bauherrschaft bezahlen müssen.
Ich werde von der Bauherrschaft beigezogen, um sie zu beraten. Bei meiner Analyse stosse ich auf einen Punkt, der im Argumentenkatalog für die Vereinbarung mit dem Architekten speziell bedeutsam wird. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Kostenlimite für das Bauvorhaben nie eindeutig definiert worden ist. Die Bauherrschaft hat einen Betrag genannt, den sie maximal finanzieren kann. Nehmen wir an, diese Summe habe 1 Mio. Fr. betragen. Der Architekt seinerseits hat unter diesem Betrag etwas ganz anderes verstanden, nämlich die aufwandbestimmenden Baukosten. Darunter sind die Baukosten zu verstehen, die für die Ermittlung des Honorars massgebend sind. Dazu zählen die Kosten für Vorbereitungsarbeiten, Gebäude und Umgebung, aber ohne die Honorare. Auch die Baunebenkosten sind bei den aufwandbestimmenden Baukosten nicht enthalten. – Siehe zum Begriff der aufwandsbestimmenden Baukosten auch den Blogbeitrag «Aufwandbestimmende Baukosten B in der Honorarformel».
Aufgrund dieses Missverständnisses wird im Planungsvertrag zwischen Bauherrschaft und Architekt eine aufwandbestimmende Summe von 1 Mio. Fr. genannt. Die Bauherrschaft hat aber unter diesem Betrag die gesamten Investitionskosten verstanden.
Wenn der Auftraggeber sachkundig gewesen wäre, hätte er den Irrtum wahrscheinlich erkennen können. Aber er ist eben nicht sachkundig gewesen.
Es wäre eindeutig am Architekten gelegen, die Bauherrschaft in Bezug auf die maximalen Baukosten richtig zu beraten. In juristischen Fachkreisen spricht man in diesem Zusammenhang von einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht. Etwas plakativ ausgedrückt muss der besser Informierte den schlechter Informierten über das Wesen des vorgeschlagenen Vertrags aufklären. Speziell soll auf Punkte hingewiesen werden, die der schlechter Informierte aufgrund seines Alltagswissens in dieser Form nicht erwarten würde.
Die Information über die richtige Interpretation der Baukosten ist ein Punkt, der in die vorvertragliche Aufklärungspflicht im Zusammengang mit einem Planungsvertrag fallen dürfte. Einem Laien als Bauherrn ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass die Gesamtbaukosten und die aufwandbestimmenden Baukosten nicht das gleiche sind. Aber ein Fachmann muss diesen Unterschied (selbstverständlich) kennen und den nicht sachkundigen Bauherrn darauf aufmerksam machen.
Der Architekt akzeptiert diesen Gedankengang relativ schnell. Ihm wird bewusst, dass er mindestens teilweise dafür verantwortlich ist, dass das Projekt nicht finanzierbar ist. Er stimmt daher einem reduzierten Honorar gemäss meinem Vorschlag zu. Die Reduktion
gegenüber der ursprünglichen Forderung beträgt rund 20%.
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Streitbeilegung mit oder ohne Anwalt
Fragen wir uns nun noch, ob die Bauherrschaft einen Anwalt braucht, um im Streit über eine zu hohe Planerrechnung zu einer Lösung zu kommen. In der Praxis habe ich mit beiden Varianten zu tun.
Falls ein Anwalt eingeschaltet wird, um eine zu hohe Rechnung zu bestreiten, braucht es gemäss meinen Erfahrungen in der Regel zusätzlich noch einen externen Experten, der sich im Honorarwesen auskennt. Ein Anwalt kann in der Regel nämlich selber nicht beurteilen, ob eine Rechnungsforderung gerechtfertigt ist oder nicht. Dies ist eine wirtschaftliche Fragestellung, um die sich ein Sachverständiger des Bauplanungswesens kümmern muss. Der Anwalt hingegen befasst sich mit den juristischen Themen.
Soll der Bauherr zuerst eine wirtschaftliche Expertise machen lassen, oder zuerst einen Anwalt aufsuchen? Auch hier gibt es in der Praxis beide Lösungen. Falls zuerst die Expertise zum wirtschaftlichen Aspekt eingeholt wird, kann diese dem Anwalt übergeben werden, der sie bei seiner juristischen Arbeit weiterverwendet. Sucht die Bauherrschaft umgekehrt zuerst einen Anwalt auf, wird dieser in vielen Fällen anregen, noch eine wirtschaftliche Expertise zur zulässigen Höhe der Forderung erstellen zu lassen, weil er diese Frage oft nicht selber beurteilen kann.
Die Bauherrschaft kann aber durchaus auch versuchen, anhand einer Expertise zur Rechnung selber mit dem Architekten zu verhandeln, ohne Anwalt. Gemäss meinen Erfahrungen kann dies durchaus erfolgreich sein.
Man kann das oben gesagt auch anders formulieren: Wenn eine Bauherrschaft mit einer als zu hoch empfundenen Rechnung für Bauplanungsleistungen konfrontiert ist, kommt sie allenfalls weiter, wenn sie nur eine Expertise zu wirtschaftlichen und bautechnischen Gesichtspunkten einholt. Dann kann sie selber mit dem Architekten verhandelt. Wenn sie sich jedoch an einen Anwalt wendet, dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie zusätzlich auch noch eine Expertise zur wirtschaftlichen Berechtigung der Forderung einholen muss, weil der Anwalt diese Fragen oft wahrscheinlich nicht selber beantworten kann.
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Prüfpunkte bei bestrittenen Architektenrechnungen
In diesem Abschnitt gehe ich etwas näher darauf ein, was ich prüfe, wenn ich eine bestrittene Architektenrechnung begutachte.
Die Art der Prüfung hängt natürlich stark von den Umständen ab. In vielen Fällen geht es darum, den Umfang der erbrachten Leistungen zu ermitteln. In der Terminologie gemäss SIA-Honorarordnung 102 besteht die Aufgabe somit primär darin, den Honorarfaktor des Leistungsanteils q korrekt zu bestimmen. Zu diesem Zweck analysiere ich in der Regel umfangreiche Dokumente. Dazu gehören Pläne, Baubeschriebe, Kostenermittlungen und dergleichen. Als Massstab für die Messung der Leistungen benutze ich in den meisten Fällen den Leistungsbeschrieb samt Leistungstabelle gemäss SIA Honorarordnung 102.
Prüfbedarf kann es auch geben bei der Honorarermittlung. Oft wird im Honorarvertrag die Methode die Honorarberechnung nach den aufwandbestimmenden Baukosten gewählt (Art 7. SIA-Honorarordnung 102). Die entsprechende Honorarformel weist bekanntlich eine Vielzahl von Honorarfaktoren auf. Dazu gehören neben dem oben bereits genannten Leistungsanteil q etwa die aufwandbestimmende Baukosten B, der Grundfaktor für den Stundenaufwand p, der Schwierigkeitsgrad n, und so weiter. Alle diese Faktoren werden von mir überprüft.
Falls kein Planervertrag abgeschlossen worden ist, ist meine Expertentätigkeit noch einmal etwas anders gelagert. Oft erstelle ich dann eine Plausibilitätsbetrachtung zur Höhe des marktgängigen Honorars. Vor allem bei hoch angesetzten Rechnungen kann eine solche Abschätzung der Bauherrschaft bei den Verhandlungen mit dem Architekten helfen, sei es mit oder ohne Anwalt. Siehe dazu auch den Blogbeitrag «Expertisen zu Honorarofferten».
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Literaturhinweis
In diesem Blogbeitrag werden mannigfaltige Aspekte im Zusammenhang mit Architektenhonoraren und Architektenverträgen angesprochen.
Wer sich näher damit befassen möchte, sei auf folgendes Buch von mir verwiesen:
Bauplanerhonorare – Ratgeber für Bauherren (2017).
Nähere Angaben zum Buch hier >>>
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Textgeschichte
4. Januar 2020
Feinoptimierung des Textes; ohne wesentliche inhaltliche Änderung
26. Juni 2019
Das Beispiel 4 (Einfamilienhaus) wird zusätzlich eingefügt.
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Dieser Blog enthält Dutzende von Fachbeiträgen, die sich primär an Bauherrschaften richten. Sie sind gegliedert nach Sachgebieten. Die beiden wichtigsten Themenbereiche sind «Honorarfragen» und «Bauen mit einem Architekten». Benutzen Sie das Menu, um zu der Fragenkategorie zu gelangen, die Sie besonders interessiert. – Hans Röthlisberger, Bauherrenberater, Gwatt (Thun) / Schweiz