Schlussabnahme durch Bauherrschaft allein (ohne Architekten)

Lesedauer ca. 5 Minuten. –


Die Bauherrschaft eines Einfamilienhauses fragt mich an, ob ich bei der so genannten Schlussabnahme als externer Fachmann teilnehmen könnte, da sie mit dem Architekten völlig zerstritten sei. Unter der Schlussabnahme ist die letzte Prüfung des Bauwerks kurz vor Ablauf der zweijährigen Rügefrist zu verstehen.

Während eines Telefongesprächs lasse ich mir den Sachverhalt näher erklären. Die Bauherrschaft erläutert, dass nur noch geringfügige Mängel zu erledigen seien, dass sie aber nicht davon ausgehe, dass sich der Architekt darum kümmern werde. Sie habe überhaupt kein Vertrauen mehr in ihn. Schon nach dem Bezug des Hauses vor knapp zwei Jahren habe sich der Bauherr selber um die Erledigung der Mängel bemühen müssen. Aufgrund eines grossen Bauschadens, der aber nicht Teil der anstehenden Schlussabnahme sei, habe es ein Zerwürfnis mit dem Architekten gegeben, worauf dieser seine Dienste quasi eingestellt habe.

Vorschlag zum Vorgehen

Meine Empfehlung geht dahin, dass die Bauherrschaft am besten auf eine Schlussabnahme zusammen mit dem Architekten verzichtet, da von diesem ohnehin keine Leistungen mehr zu erwarten sind. Sie erstellt vielmehr selber eine Mängelliste, die in grossen Teilen schon vorliegt. Dann nimmt sie direkt Kontakt auf mit den Handwerkern und fordert sie auf, die (wenigen) noch vorhandenen Mängel zu beheben.

Die Bauherrschaft hat aber das Problem, dass sie gar nicht weiss, wann die Garantiefristen bei den einzelnen Arbeitsgattungen ablaufen. Sie hat vom Architekten nämlich keine Liste mit den Ablaufdaten der Garantie erhalten. Immerhin verfügt sie aber über die Garantiescheine. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass sie dort nachschauen kann, wann die Garantiefrist der betreffenden Arbeitsgattung abläuft.

Fazit

Nach einem viertelstündigen (übrigens kostenlosen) Telefongespräch ist für die Bauherrschaft klar, wie sie vorgehen will. Sie verzichtet auf eine Schlussabnahme mit dem Architekten, nimmt aber selber direkt Kontakt auf mit den Werkunternehmern, welche noch Mängel zu erledigen haben. Über die Ablaufdaten der einzelnen Garantien (Ablauf der zweijährigen Rügefrist seit Abnahme) orientiert sie sich anhand der Garantiescheine.

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Anmerkungen zu den Garantiearbeiten

Ich benutze die Gelegenheit, um im Zusammenhang mit diesem sehr einfachen Fall von Spontanberatung einige grundsätzliche Aspekte betreffend Garantiearbeiten aufzugreifen.

Anmerkung 1:
zum Begriff der Schlussabnahme

Die in diesem Blogbeitrag verwendeten Begriffe der Abnahme und der Schlussabnahme haben ihren Ursprung in den SIA-Honorarordnungen. Die meisten Fachwörter der Bauplanung und des Bauplanungsgewerbes in der Schweiz sind nämlich dort definiert.

Nachfolgend beziehe ich mich konkret auf die SIA-Honorarordnung 102 (Architekten; Ausgabe 2014). Der Leistungsbereich der Garantiearbeiten ist in der Teilphase «Inbetriebnahme, Abschluss» untergebracht und wird in Art. 4.53 SIA 102 (2014) behandelt.

Der Begriff der Abnahme wird im Leistungsbereich «Inbetriebnahme» erwähnt. Interessanterweise ist der Begriff der Schlussabnahme nicht direkt im Leistungsbereich «Garantiearbeiten» zu finden, sondern ganz am Schluss von Art. 4.53 SIA 102 (2014) unter dem Stichwort «Administration». Konkret ist die Rede davon, dass beim Erstellen der Protokolle der Schlussabnahmen darüber zu befinden ist, ob die erhaltenen Garantien zu beanspruchen oder freizugeben sind.

Die Schlussabnahme wird im Baualltag auch als Garantieabnahme bezeichnet.

Anmerkung 2:
Honorarfragen im Zusammenhang mit den Garantiearbeiten

Bei den meisten Planungsverträgen für Architekturarbeiten sind die Garantiearbeiten eingeschlossen. Der Leistungsbereich «Leitung der Garantiearbeiten» macht 1.5% des gesamten Planungsaufwandes aus. Die Schlussabnahme wiederum entspricht nur einem Bruchteil dieses Leistungsbereiches.

Bei genauer Betrachtung wird der Architekt in unserem Fall, der sich um die Schlussabnahme drückt, für eine Planungsleistung bezahlt, die er gar nicht erbringt. Es dürfte für die Bauherrschaft aber schwierig sein, den Betrag zurückzufordern, den sie zu viel entrichtet hat. Da sich der Architekt nicht mehr kooperativ verhält, wird er die Summe kaum freiwillig zurückerstatten.

Anmerkung 3:
Wenn die Bauherrschaft Bauleitungsaufgaben übernimmt

In unserem konkreten Fall ist vorgesehen, dass sich der Bauherr selber um die Schlussabnahme kümmert, weil die Beziehung zum Architekten zerrüttet ist. Ist dieses Ansinnen zu verantworten?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwas weiter ausholen. Wenn ein Bauherr einen Architekten beauftragt, erteilt er ihm kaum jemals eine vollständige Vollmacht für alle Aspekte von Bauleitung und Kostenwesen. Gewisse Entscheidungen möchte jede Bauherrschaft selber treffen. Der Architekt bekommt also nicht eine Generalvollmacht. Der Umfang der Vollmacht ist zum grossen Teil in der SIA-Honorarordnung 102 geregelt. Auftragsspezifische Präzisierungen werden im konkreten Planungsvertrag festgehalten.

Der Umfang der Vollmacht, die der Architekt erhält, kann unterschiedlich sein. Die Bauherrschaft kann einen grösseren oder kleineren Gestaltungsspielraum für sich selber beanspruchen.

Es dürfte zum Beispiel der Normalfall sein, dass nur der Bauherr eine Unternehmerrechnung anerkennen kann. Der Architekt darf die Rechnung zwar kontrollieren, aber anerkennen darf sie nur der, wer sie schlussendlich auch bezahlt.

Bei anderen Sachfragen können die Vereinbarungen unterschiedlich sein, beispielsweise bei den Regiearbeiten. Die meisten Bauherren interessieren sich nicht dafür. Es gibt aber andere, die hier mitreden wollen, um die Risiken von hohen, unerwarteten Regierechnungen zu begrenzen.

Wir sehen, dass der Umfang der an den Architekten delegierten Aufgaben und Kompetenzen hinsichtlich Bauleitung und Kostenwesen nicht in Stein gemeisselt ist. Vor allem bei Tätigkeiten, die nicht besonders viel bautechnisches Knowhow voraussetzen, ist es zu verantworten, dass sich die Bauherrschaft selber darum kümmert. Dies scheint mir bei den hier diskutierten Garantiearbeiten im Rahmen der Schlussabnahme gegeben zu sein.

Ich komme daher nochmals auf die Frage zurück, wie wir am Anfang von Anmerkung 3 formuliert haben: Ja, es ist zu verantworten, dass der Bauherr die Schlussabnahme selber durchführt (ohne Architekten).

Zusätzlich kommt im konkreten Fall die zerrüttete Beziehung zwischen Architekt und Bauherrn hinzu. Ein Auftrag ist ein Vertrauensverhältnis. Wenn das Vertrauen fehlt, sollte der Auftrag beendet werden.

Anmerkung 4:
Notwendigkeit von ungetrübten Geschäftsbeziehungen zu den Werkunternehmern

Die Schlussabnahme durch den Bauherrn selber (ohne Architekten) kann im konkreten Fall darum verantwortet werden, weil mit den Werkunternehmern ungetrübte Geschäftsbeziehungen bestehen. Diese äussern sich insbesondere darin, dass die Handwerker in Aussicht stellen, allfällige noch offene Garantiearbeiten erledigen zu wollen.

Falls die Unternehmer ganz andere Signale aussenden würden und die Erledigung der Garantiefälle gefährdet wäre, müsste dies als Alarmzeichen gewertet werden. Dann wäre eine Schlussabnahme ohne externe Fachkompetenz wohl kaum zu vertreten.


Textgeschichte
7. Januar 2020
Ergänzung durch die vier Anmerkungen; zudem Feinoptimierung des vorhandenen Textes

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Dieser Blog enthält Dutzende von Fachbeiträgen, die sich primär an Bauherrschaften richten. Sie sind gegliedert nach Sachgebieten. Die beiden wichtigsten Themenbereiche sind «Honorarfragen» und «Bauen mit einem Architekten». Benutzen Sie das Menu, um zu der Fragenkategorie zu gelangen, die Sie besonders interessiert. – Hans Röthlisberger, Bauherrenberater, Gwatt (Thun) / Schweiz


 

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