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Buch «Mit wem baue ich?» von Hans Röthlisberger (2013):
Leseprobe Kapitel 9
9.1 Grundsätzliches zu den Risiken beim Bauen
9.2 VSGU-Standesregeln gegen einseitige Risikoübernahme
9.3 Übersicht der Risiken und Garantien
9.4 Preisgarantie
9.5 Termingarantie
9.6 Qualitätsgarantie
9.7 Planungsgarantie
9.8 Teuerungsgarantie
9.9 Erfüllungsgarantie
9.10 Garantie beim Bauhandwerkerpfandrecht
9.11 Garantie für die Mängelfreiheit der Leistungsverzeichnisse
9.12 Garantie für Baugrundrisiken
9.13 Risiken bei Umbauten und Sanierungen
9.14 Mietzinsgarantie
9.15 Schlussbetrachtung zu den Garantien
Dass das Bauen mit vielfältigen Risiken verbunden ist, dürfte jedem Bauwilligen bekannt sein. Die Beschäftigung mit dem Generalunternehmermodell erscheint deshalb besonders lohnenswert, weil den Generalunternehmern allgemein nachgesagt wird, spezialisiert auf dem Gebiet des Risikomanagements zu sein. Im folgenden Kapitel befassen wir uns näher mit diesem Thema.
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9.1 Grundsätzliches zu den Risiken beim Bauen
Es besteht kein Zweifel: Bauen ist in der Regel ein risikobehaftetes Unterfangen. Risiken bestehen schon in der Planungsphase: Bekommt man die Baubewilligung, und welche Auflagen sind damit verbunden? Dann mag sich die Frage stellen, ob die Finanzierung erreicht werden kann. Im Rahmen der Bauausführung gibt es weitere Risiken: Werden die veranschlagten Kosten eingehalten, wird das Bauwerk entsprechend dem Zeitplan fertig, gibt es keine Unfälle, können Baumängel vermieden werden? Nach der Fertigstellung bestehen aber weiterhin Risiken: Bei einem Mietobjekt ist man etwa mit der Unwägbarkeit konfrontiert, ob die Vermietung klappt.
Angesichts der Fülle von Risiken dürften daher die meisten Bauherrschaften daran interessiert sein, mit Partnern zusammenzuarbeiten, die ihnen einige der Risiken abnehmen. Die Generalunternehmer stehen im Ruf, diesbezüglich besonders effizient zu sein.
Das Bewirtschaften der Risiken ist schon immer eine Kernaufgabe beim Bauen gewesen. Werfen wir deshalb einen kurzen Blick in die Vergangenheit.
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Ein Blick in die Vergangenheit
Das Generalunternehmergeschäft eignet sich für eine Zeitreise in die Vergangenheit nicht so gut, denn es ist noch relativ jung: Der Verband Schweizerischer Generalunternehmer VSGU existiert erst gut 40 Jahre. Wir wenden uns daher einer Bauaufgabe zu, die in unserem gebirgigen Land seit langer Zeit aktuell ist: dem Tunnelbau.
Eine Hochblüte des Tunnelbaus hat es in der Schweiz während der Gründerzeit der Eisenbahnen gegeben. Im Jahr 1872 ist der Gotthardtunnel, der damals längste Eisenbahntunnel der Welt, zur Ausführung ausgeschrieben worden. Die Angebotsfrist hat nur sechs Wochen betragen. Es sind sieben Offerten eingegangen. Den Zuschlag hat die Genfer Firma von Louis Favre erhalten. Der angebotene Werkpreis hat 56 Mio. Fr. betragen, 12.5 Mio. weniger als das zweitplatzierte Angebot. Die Terminzusage von acht Jahren Bauzeit ist mit einem System von Konventionalstrafen abgesichert worden. Jeder Tag Verzug hat zu einer Konventionalstrafe von 5 000 Fr. geführt, bei einer Verzögerung von mehr als sechs Monaten sind es sogar 10 000 Fr. täglich gewesen.
Die Vertragskonditionen haben sich im Rückblick als ruinös herausgestellt. Die geologischen und technischen Probleme sind enorm gewesen. Es hat zudem Probleme mit den Beschäftigten gegeben, die sogar zu einem blutig niedergeschlagenen Streik geführt haben. Die zugesagte Bauzeit hat nicht eingehalten werden können und ist über zehn Monate überschritten worden. Favres Firma ist mit grossen Nachforderungen konfrontiert worden, was sie in den Ruin getrieben hat. Louis Favre selbst ist 1879 in «seinem» Tunnel gestorben.
Louis Favre, der geniale Baumeister im Tunnelbau, hat also beim Bau des Gotthardtunnels so viele Risiken auf sich genommen, dass seine Firma daran Konkurs gegangen ist. Möglicherweise hat er sich als begnadeter Ingenieur zu wenig von Juristen beraten lassen.
Der Tunnelbau ist übrigens auch für die Bestellerseite nicht ganz risikolos gewesen. Wichtigster Förderer des Gotthardtunnels ist Alfred Escher gewesen, der visionäre Politiker und Gründer von Unternehmungen wie der Nordostbahn (der Vorläuferin der heutigen SBB), der Kreditanstalt (heute Credit Suisse) oder der Rentenanstalt (heute Swiss Life). Weil die Baukosten um gut 10% überschritten worden sind, ist Escher vom Bundesrat 1880 nicht zum Durchstich eingeladen worden. Er ist nie durch «seinen» Tunnel gefahren (Quelle: Tages Anzeiger, Zürich, 23. Februar 2012, Seite 19).
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9.2 VSGU-Standesregeln gegen einseitige Risikoübernahme
Kehren wir nach diesem Abstecher zu Louis Favre wieder zurück in die Gegenwart. Dürfen wir erwarten, dass sich die Zeiten geändert haben und die Werkunternehmer im Bauwesen und insbesondere die Generalunternehmer nicht mehr über ruinöse Vertragsbedingungen klagen?
Dies ist nicht der Fall. Die Spezialisten des Risikomanagements im Hochbau, die Generalunternehmer, sind der Meinung, dass immer mehr Risiken auf sie überwälzt werden. Deren Ausmass sei deshalb zu begrenzen. Das Mittel dazu sind Standesregeln im Zusammenhang mit der Risikoübernahme, die 2009 verabschiedet worden sind. (Quelle: «40 Jahre erfolgreich» – Jubiläumsausgabe: 40 Jahre VSGU Verband Schweizerischer Generalunternehmer – Beilage zu «die baustellen» und «intelligent bauen»; 2010).
Bei einer ersten Durchsicht der Liste (siehe unten) können wir feststellen, dass mindestens einer der Punkte, die Louis Favre beim Bau des Gotthardeisenbahntunnels zum Verhängnis geworden sind, aufgeführt ist: unlimitierte Konventionalstrafen bei Terminen. Derartige Risiken sollen von den VSGU-Mitgliedern nicht mehr vorbehaltlos akzeptiert werden.
Im Verlaufe der Besprechung einzelner Risiken und Garantien im Rahmen dieses Kapitels 9 «Bewirtschaftung der Risiken» werden wir auf einige ausgewählte Punkte auf der Liste der Standesregeln zurückkommen.
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Einheitliche Vertragsbedingungen gemäss Standesregeln VSGU
(genehmigt anlässlich der Generalversammlung vom 12. Juni 2009)
1. Eigentümerrisiken
— Baugrund / Altlasten
— Asbest / PCB
— Planungshaftung für vorbestandene Planungsfehler
2. Im Werkpreis inbegriffene Leistungen
— Wegbedingung von OR 373, Abs. 2/SIA Norm 118, Art. 59
— Umfassende Komplettheitsklausel
3. Mängelhaftung
— Jederzeitiges Rügerecht während 5 Jahren (bzw. innert 3 Monaten nach Entdeckung bei verdeckten Mängeln)
4. Sicherheitsleistung
— Erfüllungsgarantie höher als 10% oder länger als 4 Monate über Bauvollendung hinaus
5. Unvorhergesehenes
— Bei Vertragsabschluss nicht bekannte behördliche Auflagen und Gesetzesänderungen
6. Termine
— Unlimitierte Konventionalstrafen
— Konventionalstrafen auf Zwischenterminen
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Ergänzend zu den oben aufgeführten Standesregeln in Listenform gibt es noch ein ausführlicheres Argumentarium zu den Standesregeln mit einem Umfang von sieben Seiten. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Buches (2012) ist das Argumentarium auf der Website des VSGU verfügbar gewesen. Da es davon keine gedruckte Version gibt, wird darauf verzichtet, es im Literaturverzeichnis aufzuführen.
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Analogie Finanzindustrie
Die Vermeidung der Übernahme übermässiger Risiken erinnert uns ein wenig an eine ganz andere Branche, nämlich an die Finanzindustrie, die in der Zeit um 2008 in eine existenzbedrohende Krise geraten ist. Einer der auslösenden Faktoren dieser Krise ist die Übernahme übermässiger Risiken durch einzelne Akteure gewesen. Die weltgrösste Versicherungs-esellschaft American International Group AIG in den USA beispielsweise hat vom Staat gerettet werden müssen. Auch die grösste Bank der Schweiz, die UBS, hat Staatshilfe gebraucht, weil sie zu riskante Geschäfte eingegangen ist.
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Zur Notwendigkeit von Standesregeln zur Vermeidung einseitiger Risiken
Es liegt auf der Hand, dass die Generalunternehmer sich hüten müssen, zu viele Risiken einzugehen. Louis Favre wäre möglicherweise nicht Konkurs gegangen, wenn er im Rahmen seines Werkvertrages mit der Bauherrschaft für den Gotthardeisenbahntunnel seine Risiken hätte begrenzen können. Es ist aber eine andere Frage, ob es zur Begrenzung der Risiken Standesregeln braucht. Immerhin hat jeder anbietende Generalunternehmer die Möglichkeit, von einem Vertrag Abstand zu nehmen, wenn für ihn das Verhältnis zwischen Ertragsmöglichkeiten und Gefahren aufgrund seiner Risikoexposition nicht stimmt. In der Praxis geschieht dies auch immer wieder. Ein Beispiel dafür ist die weiter vorne besprochene Generalunternehmer-Ausschreibung für das INO-Projekt des Berner Inselspitals (Seite 216 ff.). Weil sich die meisten potentiellen Anbieter nicht zu einem Angebot haben entschliessen können, ist nur eine einzige (teure) Offerte eingegangen. Die Bauherrschaft ist dann mit dem ernsthaften Problem konfrontiert gewesen, aus dieser Sackgasse wieder herauszukommen.
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9.3 Übersicht der Risiken und Garantien
Ich kenne keine Systematik zur Identifikation und Gliederung der Risiken und Garantien beim Bauen mit einem Generalunternehmer (was aber nicht heisst, dass es nicht doch eine gibt). Ich beschränke mich daher auf die Risiken und Garantien, mit denen ich in der Praxis zu tun gehabt habe. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Wir beginnen mit den drei traditionellen Basisgarantien, welche Generalunternehmer dem Bauherrn bieten. Diese beziehen sich auf den Preis, den Übergabetermin und die Ausführungsqualität des Bauwerks. Anschliessend behandeln wir die Planungsgarantie. Man kann sie als Erweiterungen zur Qualitätsgarantie betrachten. Die Teuerungsgarantie ist ebenfalls eine Erweiterung einer der Basisgarantien, nämlich der Preisgarantie.
Weitere Garantien sind die Erfüllungsgarantie und die Garantie zum Bauhandwerkerpfandrecht. Hier sind die Risiken für den Bauherrn abhängig von der Solvenz des Generalunternehmers. Bei einem finanzkräftigen Vertragspartner ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass die Garantien beansprucht werden müssen. – Unwägbarkeiten bestehen auch beim Baugrund. Der Generalunternehmer ist allenfalls bereit, gewisse Risiken im Zusammenhang mit der Baugrube zu übernehmen.
Mit erheblichen Risiken behaftet sind meistens Umbauten und Sanierungen. Wir gehen näher darauf ein, in welchem Umfang der Generalunternehmer hier Risiken eingeht und welche beim Bauherrn verbleiben. Das nächste Thema ist die Garantie für mängelfreie Leistungsverzeichnisse. Sie kommt nur zum Tragen, wenn der Generalunternehmer im Rahmen der Submission detaillierte Leistungsverzeichnisse pro Arbeitsgattung erhält, die bauherrenseitig ausgearbeitet worden sind.
Ein letztes Thema schliesslich ist die Mietzinsgarantie. Es ist eine sehr spezielle Garantie, denn sie hat nichts mit dem Bauprozess zu tun, sondern nur mit dem Markt. Sie hat zudem die Eigenschaft, dass sie für den Generalunternehmer teuer werden kann.
Nicht behandelt wird in diesem Buch das Thema der baubezogenen Versicherungen, die natürlich ebenfalls ein wichtiges Instrument zur Risikobewirtschaftung darstellen.
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9.4 Preisgarantie
Die Preisgarantie (auch als Kostengarantie bezeichnet) ist wohl der am häufigsten genannte Vorteil des Generalunternehmermodells. Für viele Bauwillige ist es das wichtigste Argument überhaupt, um mit einem Generalunternehmer zu bauen. Die Preisgarantie gibt es in verschiedenen Erscheinungsformen (z.B. Pauschalpreis). In diesem Buch wird an mehreren Beispielen das Prinzip des Kostendachs mit offener Abrechnung erläutert.
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Relativierungen zur Preisgarantie
Wie viele Generalunternehmerprojekte in der Praxis zeigen, gilt diese Preisgarantie aber nicht unbeschränkt. Der Generalunternehmer hält zwar seine kostenbezogenen Zusagen ein, es gibt aber Faktoren ausserhalb seines Einflussbereichs, die zu erheblichen zusätzlichen Kosten führen können.
Kostentreibende Faktoren, die nicht dem Generalunternehmer angelastet werden können, beinhalten primär Änderungen am Baubeschrieb und allenfalls auch am Raumprogramm durch den Bauherrn selber. Ein Beispiel dazu finden wir im Abschnitt «Änderungen». Auf Seite 256 wird beschrieben, wie bei der Sanierung der Zwischendecken eines alten Gewerbegebäudes im Hinblick auf die Nutzung als Bürogebäude der ursprünglich tiefe Ausbaustandard im Laufe der Sanierungsarbeiten erhöht wird. Namentlich wird beschlossen, auf den alten Holzdecken zusätzlich eine Ausgleichsschüttung einzubringen, was zu Mehrkosten von rund 40 000 Fr. führt. Resultat dieser baulichen Verbesserung sind nicht nur plane Böden, sondern auch eine verbesserte Schalldämmung. – Interessant ist auch der Neubau der Berner Kantonalbank (Seite 211 f.), wo bei einem Totalunternehmerprojekt die Kosten von 160 Mio. Fr. auf 250 Mio. Fr. ansteigen.
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Vollständigkeitsklausel
Bei Generalunternehmerverträgen besteht immer das Risiko, dass im Baubeschrieb des Bestellers gewisse Positionen nicht explizit aufgeführt sind, die für die vertragsgemässe Ausführung des Bauwerks durch den Generalunternehmer jedoch notwendig sind. Zu diesem Zweck kann eine sogenannte Vollständigkeitsklausel (Komplettheitsklausel) in den Werkvertrag eingefügt werden (Gauch, Werkvertrag, Seite 374). Dadurch erhält die Bauherrschaft eine erhöhte Sicherheit, dass das von ihr bestellte komplette Werk auch zum vereinbarten Preis komplett geliefert wird, und es weniger Streitigkeiten darüber gibt, ob einzelne Teilleistungen nun inbegriffen sind oder nicht.
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Beispiel einer Vollständigkeitsklausel (Komplettheitsklausel)
Die Bauherrschaft überträgt dem Generalunternehmer die Erstellung eines Mehrfamilienhauses mit 6 Wohnungen auf der Parzelle xy samt Erschliessung und Umgebungsarbeiten.
Der Vertrag bezieht sich auf sämtliche Leistungen, die für die schlüsselfertige Erstellung des Gebäudes angezeigt sind. Der Generalunternehmer hat insbesondere auch alle Arbeiten auszuführen, die allenfalls im Baubeschrieb nicht enthalten sind, jedoch zur schlüsselfertigen Erstellung des Gebäudes gehören (ohne Preisveränderung).
Ausgeschlossen sind lediglich diejenigen Leistungen, die im Vertrag ausdrücklich nicht als Sache des Generalunternehmers bezeichnet werden.
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VSGU-Vorbehalt zur Komplettheitsklausel
In den Standesregeln VSGU (Argumentarium Standesregeln VSGU; Seite 5) ist festgehalten, wie die umfassende Komplettheitsklausel zu interpretieren ist. Das Problem bei der Komplettheit liegt nämlich darin, dass die Planer (und nicht der Generalunternehmer als späterer Vertragspartner) das Projekt erarbeiten und daher am besten wissen sollten, worin die Komplettheit besteht. Es liegt an den Planern, mit Plänen und einem Baubeschrieb das Werk komplett zu beschreiben. Die Haftung des Generalunternehmers für die Komplettheit steht somit in direktem Zusammenhang mit der Planungshaftung (siehe Abschnitt «Planungsgarantie»; Seite 285 ff.).
Der Generalunternehmer ist unter gewissen Vorbehalten bereit, die Haftung für die Komplettheit zu übernehmen. Der Text des Lösungsansatzes ist identisch wie bei der Planungshaftung für vorbestandene Planungsfehler (siehe die Ausführungen weiter hinten zum Thema «VSGU-Vorbehalt für vorbestandene Planungsfehler»; Seite 287 f.). Vorausgesetzt ist unter anderem, dass er die Grundlagen der Planer gut genug überprüfen kann. Zudem muss ein Rückgriffsrecht auf die Planer möglich sein. Falls sich ferner während der Ausführung wesentliche Mängel der Planung zeigen sollten, welche der Generalunternehmer nicht erkennen konnte, hat dieser Anrecht auf eine zusätzliche Entschädigung.
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9.5 Termingarantie
In der Praxis hat diese Ausprägung der Garantie von Generalunternehmern nicht den gleichen Stellenwert wie die Preisgarantie. Nach meiner Einschätzung ist es aber eine der grössten Stärken von Generalunternehmern überhaupt, vor allem bei komplexen Bauvorhaben. Hinsichtlich der Bautermine können sich signifikante Unterschiede zeigen zwischen einem Ad-hoc-Planungsteam und einem Generalunternehmer. Die Stärke des Generalunternehmers zeigt sich gemäss meinen Erfahrungen nicht primär darin, dass er schneller bauen kann als eine beauftragte Bauleitung, sondern dass er die Termine zuverlässiger voraussagen kann. Wenn er eine Bauzeit von drei Jahren voraussagt, dann sind es dann auch drei Jahre. Eine Bauleitung in einem Ad-hoc-Planungsteam ist eher der Versuchung ausgesetzt, zweieinhalb Jahre zu prognostizieren. Am Schluss ergeben sich dann gleichwohl drei Jahre.
Der Grund für die bessere Termintreue ist meines Erachtens auf die grössere kritische Masse an terminbezogenem Know-how in einer grossen Firma zurückzuführen. Ein Generalunternehmer mit Dutzenden von Projekt- und Bauleitern kann den tatsächlichen Zeitbedarf eher einschätzen als ein Ad-hoc-Planungsteam mit nur wenigen Fachleuten, die auf sich alleine gestellt sind. Wenn eine beauftragte Bauleitung allerdings auch einem grossen Verbund von Know-how angeschlossen ist, dann erreicht sie eine ähnliche Güte der Termintreue wie ein grosser Generalunternehmer.
Beim Generalunternehmermodell kann sich der Bauherr die Termineinhaltung mit verbindlichen Zusagen garantieren lassen. In der Praxis spricht man bei Nichteinhaltung etwa von Konventionalstrafen. Beim nachfolgenden Beispiel einer Termingarantie handelt es sich um ein Gewerbegebäude, das auf einen bestimmten Zeitpunkt fertig gestellt werden soll, damit es an externe Nutzer vermietet werden kann. Es wird vereinbart, dass der direkte Schaden entschädigt wird, falls die Fertigstellung verspätet erfolgt.
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Beispiel einer Termingarantie (Konventionalstrafe)
Für die Zeitdauer, um welche der garantierte Verfalltag der Übergabe überschritten wird, schuldet der Generalunternehmer dem Bauherrn eine Konventionalstrafe im Umfang der entgangenen Mietzinseinnahmen von den zu diesem Zeitpunkt vermieteten Gewerbeflächen.
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VSGU-Vorbehalt zu Konventionalstrafen
Es sei daran erinnert, dass in den Standesregeln des VSGU unlimitierte Konventionalstrafen abgelehnt werden. Für die Festsetzung der Limiten werden unter anderem folgende Lösungsansätze vorgeschlagen (Argumentarium Standesregeln VSGU; Seite 7):
- Die Konventionalstrafe soll mit einer maximalen Limite in der Höhe des GU-Risikos von 3–5% begrenzt werden.
- Die Tageslimite soll in der Regel auf 0.1% der Werkvertragssumme oder auf den monatlichen Mietertrag beschränkt werden.
- (…)
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9.6 Qualitätsgarantie
Auf die Qualitätsgarantie sind wir im Rahmen der Betrachtung der Allgemeinen Bedingungen (AVB) bereits näher eingegangen (siehe Abschnitt «Bauabnahme und Garantie», Seite 268 ff.). Sie ist zweifellos ein Prunkstück des Generalunternehmermodells. Die Qualitätsgarantie (Gewährleistung) zeichnet sich beim Generalunternehmermodell dadurch aus, dass der Besteller nicht ein Bündel von Garantiescheinen erhält wie bei der Bauausführung durch Einzelunternehmer, sondern durch eine Systemgarantie für das Werk als Ganzes.
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9.7 Planungsgarantie
Der Begriff der Planungsgarantie ist in den Allgemeinen Bedingungen (AVB) nicht enthalten. Die Planungsgarantie kann man als Erweiterung der oben besprochenen Qualitätsgarantie betrachten. Die Gewährleistung beinhaltet hier nicht nur die eigentliche Herstellung des Werks, sondern auch die vorangehende Planung.
Generell liegt es im Interesse der Bauherrschaft, dass der Generalunternehmer auch für die Planungsleistungen eine Garantie abgibt. Im Hinblick auf die Diskussion unterscheiden wir nun zwei Fälle: die Haftung für die Ausführungsplanung (Fall A) und die Haftung für vorbestandene Planungsfehler (Fall B).
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Fall A: Haftung für die Ausführungsplanung (Planbearbeitung)
Beim Beginn der Ausführungsplanung ist der Generalunternehmer in der Regel schon beigezogen. Das Thema der Planung in dieser Projektphase haben wir im Abschnitt «Projektorganisation» bereits besprochen (Seite 229 ff.). Die Haftung des Generalunternehmers für Planmängel ist ohne Weiteres erfüllt, wenn die Planbearbeitung von Planern im Auftrag des Generalunternehmers erbracht wird (siehe Absatz «Variante B: Planer im Auftrag des Generalunternehmers»; Seite 231).
Es ist aber denkbar, dass der Generalunternehmer diese Garantie abgibt, wenn nicht alle Planer ihm unterstellt sind. Betrachten wir dazu als Beispiel die Projektorganisation auf Seite 233 («Pragmatische Mischlösung für die Stellung der Planer in der Projektorganisation»). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Architekt direkt dem Bauherrn rapportiert, während die übrigen Planer im Auftrag des Generalunternehmers tätig sind. Die etwas spezielle Form der Organisation ergibt sich dadurch, dass der Architekt bereits vor der Generalunternehmersubmission für den Bauherrn gearbeitet hat und dieser den direkten Draht zu ihm während der Phase der Bauausführung unbedingt beibehalten möchte. Der Architekt hat hier nicht die Funktion des Gesamtleiters, da er nicht die Oberaufsicht über den gesamten Projektablauf hat (siehe Abschnitt «Projektorganisation» im Kapitel 3, Seite 117 ff.). Er kann eher als Koordinator der Planung oder Leiter des Planungsteams bezeichnet werden, allerdings unter der übergeordneten Leitung des Generalunternehmers.
Geht der Generalunternehmer nicht ein unverantwortliches Risiko ein, wenn er für allfällige Planungsmängel des Architekten als wichtigstem Planer (Koordinator der gesamten Planung) haftet, wenn dieser gar nicht ihm unterstellt ist? Die Frage kann meiner Ansicht nach mit Nein beantwortet werden. Der Architekt ist ja nicht darum dem Bauherrn unterstellt, weil er sich der Koordination des Generalunternehmers entziehen will, sondern weil der Bauherr die neutrale Beratung und Unterstützung des Architekten schätzt. Hinsichtlich der Projektkoordination jedoch ist er sehr eng in die übergeordnete Projektleitungstätigkeit des Generalunternehmers eingebunden. Dieser weiss sehr genau, was der Architekt tut, und bei Bedarf kann er schnell korrigierend eingreifen.
Die Übernahme der Garantie für Planungsmängel durch den Generalunternehmer darf meiner Meinung nach somit selbst dann verantwortet werden, wenn der Architekt nicht ihm unterstellt ist.
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Fall B: Haftung für vorbestandene Planungsfehler
Der Fall B ist viel heikler als Fall A. Es geht hier nämlich um die Projektierung des Bauwerks, die zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als der Generalunternehmer noch gar nicht im Projekt eingebunden gewesen ist. In der Praxis wird vom Bauherrn häufig angestrebt, dass der Generalunternehmer auch die Risiken dieser Planungsphase (Vorprojekt, Bauprojekt, Bewilligungsverfahren) übernimmt. Zu diesem Zweck lässt man ihn die Pläne prüfen. Die Erwartung des Bauherrn geht dahin, dass der Generalunternehmer für die Qualität der Planung einzustehen hat, sofern er nicht Planmängel geltend macht und abmahnt. Mit anderen Worten soll er haften für vorbestandene Planungsfehler. Diese Haftungsübernahme ist grundsätzlich möglich: «Ist vertraglich eine Übernahme der Haftung für die Vertragspläne durch den Generalunternehmer vereinbart, so hat der Bauherr diesem eine angemessene Frist für die eingehende Prüfung einzuräumen und ihm im Haftungsfall den Rückgriff auf seine Beauftragten zu gewährleisten» (Art. 10.4 AVB).
Die Haftung für vorbestandene Planungsfehler ist eines der Sachgebiete, in denen in der Vergangenheit gelegentlich zu viele Risiken auf die Generalunternehmer überwälzt worden sind. Die Planung vor dem Beizug des Generalunternehmers wird vom VSGU nämlich als Tätigkeit des Eigentümers (Bauherrn) angesehen, und das entsprechende Risiko als Eigentümerrisiko (Bauherrenrisiko). Der Generalunternehmer könne nicht so ohne Weiteres die Planungshaftung für vorbestandene Planungsfehler übernehmen. Der Aspekt wird daher in den VSGU-Standesregeln behandelt (siehe Seite 277 f.).
VSGU-Vorbehalt für vorbestandene Planungsfehler
Zum Thema der Haftung für vorbestandene Planungsfehler finden sich in den VSGU-Standesregeln folgende Lösungsansätze (Argumentarium Standesregeln VSGU; Seite 3):
Der Eigentümer erarbeitet die Planung. Die Übernahme der Planungshaftung ist möglich, sofern die Grundlagen auf Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit, Fehlerfreiheit und Plausibilität überprüft werden können, die Beschränkung auf die anerkannten technischen Regeln der Baukunde und das Zugriffsrecht auf die Planer möglich ist. Sollten sich während der Ausführung wesentliche Mängel dieser Planung zeigen, welche der TU bei aller Sorgfalt nicht erkennen konnte, ist dieser berechtigt eine zusätzliche Entschädigung zu fordern. Wesentlich heisst, dass die Funktionstüchtigkeit des Werkes zum üblichen oder vereinbarten Gebrauch erheblich beeinträchtigt ist, der Mangel im Verhältnis zum gesamten Werk erheblich ist und/oder Leib und Leben des Bauherrn oder Benutzers gefährdet ist.
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Meine Interpretation zur Haftungsübernahme
Aus obigem Text kann entnommen werden, dass die Planungshaftung für vorbestandene Planungsfehler unter Vorbehalten und mit Einschränkungen möglich ist. Nachstehend lege ich anhand von zwei Beispielen dar, wie ich die Argumente des VSGU interpretiere.
— Beispiel 1: Haftungsübernahme nicht möglich
Bei komplizierten Bauwerken ist eine Haftungsübernahme problematisch. Mit solchen hat man es gelegentlich bei Wettbewerben zu tun. Teilweise befindet sich die Ausführbarkeit von Wettbewerbsprojekten an der Grenze des technisch Möglichen. Ein Beispiel dafür ist der Neubau der Frauenklinik in Bern (1998–2002), resultierend aus einem Wettbewerb (siehe Seite 212 ff.).
Meiner Ansicht nach ist es vertretbar, dass sich der Generalunternehmer bei solchen Projekten weigert, die Planungshaftung für allfällige vorbestandene Planungsfehler zu übernehmen. Beim genannten Beispiel ist es ihm mit vernünftigem Aufwand kaum möglich gewesen, die Güte der Planung im Hinblick auf vorhandene Planmängel zu prüfen.
— Beispiel 2: Haftungsübernahme möglich
Bei einfachen Standardbauwerken ist eine Haftungsübernahme gut möglich. Private Gelegenheitsbauherren streben in vielen Fällen eher einfache Standardbauwerke an. Hier ist es dem Generalunternehmer durchaus zuzumuten, dass er die bauherrenseitige Planung gewissenhaft und mit einem vernünftigen Aufwand überprüfen kann. Die Planungshaftung für vorbestandene Planungsfehler kann deshalb übernommen werden.
Die Bauherrschaft soll darauf achten, dass die Prüfungstätigkeit dem Generalunternehmer so einfach wie möglich gemacht wird. Er soll genügend Zeit zur Verfügung haben und einen ausreichenden Erfahrungsaustausch mit den Planverfassern des Projekts pflegen können.