Wenn Architekten uralte Honorarordnungen verwenden

Lesedauer ca. 7 Minuten. –


Es ist mir in letzter Zeit zwei Mal passiert, dass ich im Rahmen einer Expertise zu einem Planervertrag auf einen Architekten stosse, der auch heute noch eine SIA-Honorarordnung 102 aus dem Jahr 1984 verwendet.

Wir wollen uns zuerst vergegenwärtigen, was es bedeutet, heutzutage noch mit einer über 30 Jahre alten Honorarordnung zu arbeiten. Um das Jahr 2000 geschehen im Honorarwesen der Schweiz für Bauplanerleistungen nämlich grosse Umwälzungen. Die WEKO (Wettbewerbskommission des Bundes) tritt damals auf den Plan und untersagt 2002 den guten alten Kostentarif, der vorher Jahrzehnte lang verwendet worden ist. Diese Honorarberechnung wird als kartellistische Preisabsprache eingestuft. An ihre Stelle tritt in der Ausgabe 2003 der SIA-Honorarordnungen 102 ff. das Zeitaufwandmodell. Es gibt hier zwar immer noch eine Honorarformel, welche aber für eine konkrete Planungsaufgabe nicht mehr einen Honorarbetrag in Franken ergibt, sondern nur noch einen Stundenaufwand. Die Stundenansätze müssen die Planungsfirmen selber kalkulieren, jede Firma für sich allein. Hier hört die Unterstützung durch den Branchenverband SIA auf.

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Vom Wandel der Honorarberechnung im Laufe der Zeit

Die Höhe der Honorare verändert sich durch die Umstellung der Berechnungsmethode 2003 kaum. Aber die Berechnung wird komplizierter.

Währen der langen Phase des Kostentarifs (also bis 2002) weist die Honorarformel die folgenden fünf Faktoren auf:

  • B = honorarberechtigte Baukosten
  • p = Honorar-Grundprozentsatz
  • n = Schwierigkeitsgrad
  • q = Leistungsanteil
  • r = Korrekturfaktor

Beim neuen Zeitaufwandmodell jedoch (ab 2003) sind es die folgenden acht Honorarfaktoren (ab 2014 sind es neun):

  • B = aufwandbestimmende Baukosten
  • p = Grundfaktor für den Stundenaufwand
  • n = Schwierigkeitsgrad
  • q = Leistungsanteil
  • r = Anpassungsfaktor
  • U = Faktor für Umbau, Unterhalt, Denkmalpflege (erst ab der Ausgabe 2014)
  • i = Teamfaktor
  • s = Faktor für Sonderleistungen
  • h = angebotener Stundenansatz

Die Architekten, die heute noch mit der Ausgabe 1984 der SIA-Honorarordnung 102 arbeiten, haben diese grossen Veränderungen nicht mitgemacht. Sie verwenden die neuen Honorarfaktoren (insbesondere Teamfaktor i und Stundenansatz h) nicht, vielleicht kennen sie sie auch gar nicht.

Die neue Fassung der Honorarordnung zeichnet sich nicht nur durch zusätzliche Honorarfaktoren aus, sondern auch durch eine andere Gewichtung der planerischen Teilleistungen in der Leistungstabelle. Der Kostenvoranschlag beispielweise hat in der Version von 1984 noch eine Gewichtung von 7 Prozentanteilen, heute sind es 4. Generell wird im Laufe der Zeit das Gewicht der Planung (Projektierung) grösser, dasjenige der Bauleitung geringer.

Auch die Bezeichnung der Teilleistungen ändert sich in den neueren Versionen der SIA-Honorarordnungen 102 ff. im Vergleich zur Ausgabe 1984 teilweise. Damals hat man zum Beispiel von «provisorischen Ausführungsplänen» gesprochen. Heute heisst die Teilleistung «Ausschreibungspläne».

Angesichts des einigermassen bizarren Sachverhalts, dass es noch Architekten gibt, die mit einer Jahrzehnte alten Version der SIA-Honorarordnung 102 arbeiten, wollen wir uns die folgenden Fragen stellen:

  • Erstens: Was sind die Gründe für das Beharren auf der alten Version?
  • Zweitens: Ist es überhaupt erlaubt, eine alte Honorarordnung zu verwenden?
  • Drittens: Kann man mit einer uralten Honorarordnung noch vernünftig arbeiten?

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Frage 1:
Aus welchen Gründen wird eine alte Honorarordnung verwendet?

Ich glaube nicht, dass es ein Problem der Kosten ist. Eine SIA-Honorarordnung 102 (Architekten) kostet zwar in Papierform 180 Fr. (heutiger Preis; vor 15 Jahren wird es noch etwas weniger gewesen sein). Der Hauptgrund für das Beharren auf dem Altvertrauten dürfte nicht die Auslage sein, sondern die Abneigung, sich in eine komplizierte neue Materie einarbeiten zu müssen.

Ich gehe mal davon aus, dass die meisten der Architekten, die bei der alten Honorarordnung bleiben, Einzelkämpfer in einem fortgeschrittenen Erwerbsalter sind. Ihre Lust auf Neues ist begrenzt, und sie haben Niemanden in ihrem engeren beruflichen Umfeld, an die sie Neues delegieren könnten. Da sie wahrscheinlich nicht mehr so viele Berufsjahre vor sich haben, bleiben sie einfach bei dem, was sie kennen.

Für Architekten, die noch die alte Honorarordnung von 1984 verwenden, ist das Honorarwesen einfacher. Sie müssen sich nicht den Kopf zerbrechen über die Bedeutung von heute mittlerweile neun Honorarfakten. Ganz wichtig dürfte sein, dass sie ihren Stundenansatz nicht kalkulieren müssen. Ihre alte Honorarformel basiert nämlich nicht auf dem Zeitaufwand und verwendet keine Stundenansätze. Das Honorar wird hier direkt aus der Bausumme hergeleitet. Wer sich näher mit der historischen Art der Honorarberechnung befassen möchte, sei auf mein Buch «Bauplanerhonorare – Ratgeber für Bauherren» (2017) verwiesen (Abschnitt «Die lange Phase der festen Planertarife»; Seite 24 f.). Näheres zum Buch hier>>>

Architekten, die eine uralte Honorarordnung verwenden, leben in einer längst vergangenen Planerwelt. Vielleicht bleiben solche traditionsbehafteten Architekten auch sonst beim Altvertauten. Möglicherweise haben sie noch kein Email und verwenden nach wie vor Briefpost und Fax.

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Frage 2:
Ist es erlaubt, eine veraltete Honorarordnung zu verwenden?

Um uns dieser Frage anzunähern, wollen wir uns zuerst vergegenwärtigen, was eine Honorarordnung überhaupt ist. Die SIA-Honorarordnungen 102 ff. können als Allgemeine Geschäftsbedingungen für das Bauplanerwesen aufgefasst werden, herausgegeben von einem Berufsverband, dem Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein (SIA).

Eine Honorarordnung stellt den Verbandmitgliedern nicht nur eine Honorarberechnungsmethode zur Verfügung, sondern standardisiert generell die Planungstätigkeit und die Art der Zusammenarbeit im Bauplanungsgewerbe. Sie prägt die Begriffe, die bei der Bauplanung verwendet werden, und vereinheitlicht ihre Anwendung. Sie ist zu einem grossen Teil auch verantwortlich für einwandfreie Schnittstellen zwischen den verschiedenen Planungsdisziplinen, etwa zwischen Architekten und Bauingenieuren. Eine Honorarordnung ist somit ein erstklassisches Standardisierungsinstrument.

Wenn nun einer der Marktakteure mit einer Jahrzehnte alten Honorarordnung Verträge abschliesst, trägt dies sicher nicht zur Vereinheitlichung bei. Aber verboten ist es nicht. Die Anwendung der SIA-Honorarordnung ist sowieso freiwillig. Man kann selbstverständlich auch Planerverträge abschliessen, die nicht auf der SIA-Honorarordnung basieren. Wie bei zahllosen anderen einfachen Aufträgen im Geschäftsleben kann man sich direkt auf das Gesetz (Obligationenrecht) abstützen. Im Bauplanungsgewerbe ist dies zwar nicht sehr komfortabel, aber völlig legal. Eine alte Fassung einer Honorarordnung zu verwenden, deren Anwendung ohnehin freiwillig ist, ist somit auch nicht verboten.

Nun kommt aber noch etwas ganz anderes hinzu: das Kartellrecht. Wie oben bereits dargelegt, ist die Art der Honorarberechnung in der alten Honorarordnung von 1984 (Kostentarif) von den Wettbewerbsbehörden (WEKO) verboten worden. Der Kostentarif stelle eine Preisabsprache dar. Unter diesem Aspekt betrachtet könnte es streng juristisch allenfalls nicht legal sein, die alte Honorarordnung der Ausgabe 1984 mit dem Kostentarif zu verwenden. Ich bin aber kein Jurist und kann diese Frage nicht beantworten. Aber auch wenn es illegal wäre, würde vermutlich niemand die paar Architekten anklagen wollen, die noch eine Jahrzehnte alte Honorarordnung verwenden. Zudem sind die Honorare, die mit der historischen Honorarberechnung ermittelt werden, im Vergleich zur aktuellen Ermittlung gemäss Zeitaufwandmodell (Art. 7 SIA 102 ff.; 2014) tendenziell ohnehin zu tief. Darauf gehen wir aber bei der nächsten Frage genauer ein.

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Frage 3:
Kann man mit einer uralten Honorarordnung noch vernünftig arbeiten?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man anscheinend noch relativ gut mit der Ausgabe 1984 der Honorarordnung geschäften kann. Das Problem ist lediglich, dass der Honorar-Grundprozentsatz p in der Honorarformel seit dem Jahr 2000 vom SIA nicht mehr weiter publiziert wird. Ende 2000 sind nämlich vom SIA letztmals p-Werte herausgegeben worden, und zwar in den «Grundlagen der Honorierung für das Jahr 2001». Ich nehme an, dass die unverdrossenen Anwender der alten Honorarordnung (Ausgabe 1984) immer noch diese historischen p-Werte (Honorar-Grundprozentsatz) aus dem Jahr 2000 verwenden.

Wahrscheinlich sind die mit der alten Berechnungsmethode ermittelten Honorare allerdings etwas zu tief. Seit 2003 sind die Honorare nämlich, ausgedrückt als Prozentwert der honorarberechtigen (resp. aufwandbestimmenden) Baukosten, angestiegen. Wenn man 2003 für eine bestimmte Planungsaufgabe angenommen 10% Architektenhonorar bezahlt hat, sind es 15 Jahre später vielleicht 10.5% oder 11% Prozent.

Es ist aber keineswegs so, dass die Honorare in absoluten Beträgen (also in Franken) im gleichen Ausmass angestiegen sind wie die Zeitaufwände (in Stunden gemessen), die mit der aktuellen Honorarformel ermittelt werden (Art. 7 SIA 102; Ausgabe 2003). Die Zeitaufwände sind nämlich in der Zeit nach 2003 rasant angestiegen.

Wer sich näher mit dem Thema der ansteigenden Zeitaufwände beschäftigen möchte, sei auf mein oben bereits erwähntes Buch «Bauplanerhonorare – Ratgeber für Bauherren» verwiesen (2017). Im Abschnitt «Faktor p: Grundfaktor für den Stundenaufwand» (Seite 58 ff.) wird ausführlich beschrieben, in welchem Umfang diese seit 2003 angestiegen sind. Ich zitiere daraus einen kurzen Text (Beginn Zitat): «Den zentralen Befund zu den oben stehenden Untersuchungen zur Veränderung der Kalkulationsgrundlagen halten wir nochmals fest: Der durchschnittliche Zeitaufwand Tm stieg im Zeitraum 2003 bis 2012 um rund 30% an. Die Ursache des Anstiegs sind die Resultate von neuen statistischen Auswertungen von abgeschlossenen Projekten durch den SIA nach 2003» (Ende Zitat).

Der Anstieg der Honorare in absoluten Beträgen kümmert aber den beharrlichen Anwender des alten Kostentarifs wohl kaum. Wahrscheinlich hat er schon vor 2003 die nach Formel ermittelten Honorare nicht voll beansprucht und regelmässig beispielweise einen Rabatt von 25% Prozent gegeben. Jetzt gewährt er halt keinen Rabatt mehr, oder nur noch von 10%.

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Dieser Blog enthält Dutzende von Fachbeiträgen, die sich primär an Bauherrschaften richten. Sie sind gegliedert nach Sachgebieten. Die beiden wichtigsten Themenbereiche sind «Honorarfragen» und «Bauen mit einem Architekten». Benutzen Sie das Menu, um zu der Fragenkategorie zu gelangen, die Sie besonders interessiert. – Hans Röthlisberger, Bauherrenberater, Gwatt (Thun) / Schweiz


 

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